Sie behaupten, das Deutsche Reich bestehe in den Grenzen von 1937 weiter und widersetzen sich Gesetzen und Behörden. Die Rede ist von sogenannten Reichsbürgern. Die öffentliche Wahrnehmung zu dieser ideologischen Gruppierung schwankt zwischen Terrorgefahr und Spinnerbande. Zwei großangelegte bundesweite Razzien im Dezember 2022 und im März dieses Jahres zeigen: Die Gefahr ist größer als gedacht.

Eine Gruppe aus der Reichsbürgerszene soll im Dezember vergangenen Jahres einen Umsturz geplant und dafür mit Waffen trainiert haben – auch im Südwesten. Bei einer bundesweiten Razzia am 22. März wurden auch Objekte in Singen untersucht. Rund 400 Reichsbürger gibt es laut Landesamt für Verfassungsschutz in der Region um den Bodensee und Südbaden. Einige davon sorgten schon vor dem neuesten Fall für Schlagzeilen, wie die folgenden Artikel zeigen.

Reichsbürger löst im Kreis Sigmaringen einen Großeinsatz aus

Ulrich S. veröffentlichte am 26. Mai 2022 in einem sozialen Netzwerk Video von sich, in dem er behauptet, Polizeibeamte seien „nur ...
Ulrich S. veröffentlichte am 26. Mai 2022 in einem sozialen Netzwerk Video von sich, in dem er behauptet, Polizeibeamte seien „nur noch bewaffnete Schlägertrupps“. Das Video verzeichnete bis Ende Juni 2022 rund 17.600 Zugriffe. | Bild: Telegram

Es ist der 6. Mai 2019, als eine Streifenwagenbesatzung den 59-jährigen Ulrich S. in Bad Saulgau stoppt. Der Mann sitzt am Steuer eines Autos, das er aus der Konkursmasse einer Schweizer Firma unterschlagen hatte. Bei der Kontrolle beruft sich sich Ulrich S. auf einen angeblichen Diplomatenstatus. Als einer der Polizisten den Zündschlüssel beschlagnahmen will, rast der Mann, der später der Reichsbürgerszene zugeordnet wird, los. Die Vorgeschichte zu diesem Fall klingt unglaublich.

SÜDKURIER spricht mit Reichsbürgern: Gefährliche Staatsfeinde in der Region

„Wir leben in einer Welt umgeben von Idioten und beherrscht von Banditen.“ So beginnt Walter ein Gespräch mit dem SÜDKURIER im Mai 2019. Es folgt eine Wutrede über Deutschland. Der 62-Jährige ist zu diesem Zeitpunkt einer von ungefähr 19.000 Reichsbürgern im Land. Nur etwa vier Prozent galten im Jahr 2019 laut baden-württembergischen Verfassungsschutz als gefährlich. Der SÜDKURIER konnte Kontakt zu einigen Reichsbürgern aus der Region aufnehmen und bekam bedenkliches Gedankengut präsentiert.

Porträt von Markgraf Max von Baden auf Flyer von Reichsbürgern abgedruckt

Ein Bild von Markgraf Max von Baden ist auf einem Flyer aus dem Reichsbürger-Milieu zu sehen.
Ein Bild von Markgraf Max von Baden ist auf einem Flyer aus dem Reichsbürger-Milieu zu sehen. | Bild: Jäckle, Reiner

Im Februar 2021 sorgen merkwürdige Flyer in Briefkästen in Uhldingen-Mühlhofen und Salem für Aufregung. Auf dem Flugblatt wird auf den sogenannten „Ewigen Bund“ hingewiesen, den Zusammenschluss von 25 deutschen Einzelstaaten zum historischen Deutschen Reich. Zudem ist ein Bild des Markgrafen Max von Baden zu sehen. Letzteres ruft das Haus Baden auf den Plan.

Wenn der Staat das Feindbild ist: So aktiv sind Reichsbürger und Selbstverwalter am Hochrhein

Herbst 2021, die Bundestagswahl steht bevor. Die politischen Lager in Bund und Land bereiten sich auf die heiße Phase vor. Aber was ist mit denen, die von der Bundesrepublik Deutschland und ihren Organen nichts wissen wollen? Reichsbürger melden sich in den Sozialen Medien verstärkt zu Wort. Auch am Hochrhein sind sie aktiv. Aber wie viele von ihnen gibt es eigentlich – und wie gefährlich sind sie? Verfassungsschutz und Polizei gewähren dem SÜDKURIER Einblicke.

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Mutmaßlicher Reichsbürger soll mehrere Bürgermeister verunglimpft haben

In einem mehrseitigen Pamphlet spricht ein 62-Jähriger im Oktober 2021 den Bürgermeistern mehrerer Gemeinden im Landkreis Ravensburg ihre Legitimität ab. Sein Schreiben, das mit falschen Informationen garniert ist, verteilt er in mehreren Briefkästen. Die Folge für den Briefautor: Die Staatsanwaltschaft ermittelt gegen ihn und stellt fest, der Mann gehört offenbar zur Reichsbürgerszene.

Reichsbürger fährt Polizisten nieder: Anklage wegen versuchten Mordes

Manfred J. führt eigentlich ein normales Leben. Der in den 1960er-Jahren geborene Südbadener aus dem Landkreis Lörrach spielt im örtlichen Musikverein Posaune und ist am Basler Flughafen im gut bezahlten Flugzeug-Innenausbau beschäftigt. Am 7. Februar 2022 zeigt J. sein anderes Gesicht. Bei einer Verkehrskontrolle gibt er plötzlich Gas und verletzt einen Polizisten schwer. Auch Schüsse auf sein Auto halten J. nicht auf. Nach einer Verfolgungsjagd wird er in Efringen-Kirchen gestoppt und festgenommen. Bei einer richterlich genehmigten Durchsuchung seines Hauses findet die Polizei Hinweise auf seine Zugehörigkeit zu den Reichsbürgern.

Inzwischen läuft der Prozess gegen Manfred J. Die Frage, die es zu klären gilt: War es ein Mordversuch?

Reichsbürgerin terrorisiert ihre Nachbarn in Tengen

Das Tengener Städtle und im Hintergrund die Schweizer Alpen. In einem der acht Ortsteile leiden Bewohner seit Jahren unter einer ...
Das Tengener Städtle und im Hintergrund die Schweizer Alpen. In einem der acht Ortsteile leiden Bewohner seit Jahren unter einer mutmaßlichen „Reichsbürgerin“ – ein Gerichtsschreiben (rechs) dokumentiert Teile der Vorwürfe. | Bild: Helmut Groß/privat - Montage: SK

Dass die Reichsbürgerszene in Deutschland wächst und sich auch in Südbaden breitmacht, zeigt dieser Fall aus Tengen im Februar 2022. Alles beginnt mit einer abgeholzten Rosenhecke. Ein banaler Streit unter Nachbarn. Doch schnell wird klar: Das ist kein harmloser Zwist. Hier geht es um jahrelangen Terror durch sogenannte Reichsbürger. Die folgende SÜDKURIER-Recherche zeigt, wie Nachbarn, Anwälten und sogar Richtern gedroht wurde – und wie machtlos der Rechtsstaat dabei wirkt.

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