Zehn Jahre ist es her, dass der erste Spaten für die Neubaustrecke Wendlingen-Ulm in den Boden gestochen worden ist. Und nun sitzen rund 190 geladene Fahrgäste – darunter der Bahnvorstandsvorsitzende Richard Lutz, Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne), Ex-Regierungschef Günther Oettinger (CDU) oder auch Staatssekretär Michael Theurer (FDP), der Beauftragte der Bundesregierung für den Schienenverkehr – im ICE von Stuttgart nach Ulm.

Ab Sonntag werden die Züge offiziell auf der 60 Kilometer langen Neubaustrecke zwischen Wendlingen und Ulm fahren. Dann wird sich die Fahrzeit zwischen den beiden Orten schon auf mehreren Verbindungen deutlich reduzieren.

Das, was für die Fahrgäste bei der offiziellen Jungfernfahrt Stand der Dinge ist, kann eigentlich nur als Vorspiel für das bezeichnet werden, was ab 2025 kommen wird. Dann wird Stuttgart 21, also der Hauptbahnhof in der Landeshauptstadt und der dazugehörige Bahnknotenpunkt, in Betrieb gehen, also auch das neue Teilstück zwischen Stuttgart und Wendlingen (Kreis Esslingen).

Ab diesem Zeitpunkt wird sich die Fahrzeit zwischen Stuttgart und Ulm nochmals verkürzen auf nur noch 28 Minuten. Mit der Neubaustrecke sollen laut Bahn zwischen Stuttgart und Ulm täglich 20 Züge mehr fahren als bisher. Vier Milliarden Euro hat die Neubaustrecke gekostet, knapp eine Milliarde Euro davon hat das Land übernommen.

Die ersten Fahrgäste: Michael Theurer (FDP, von links), Beauftragter der Bundesregierung für den Schienenverkehr, Wolfgang Schuster ...
Die ersten Fahrgäste: Michael Theurer (FDP, von links), Beauftragter der Bundesregierung für den Schienenverkehr, Wolfgang Schuster (CDU), der frühere Oberbürgermeister von Stuttgart, Günther Oettinger (CDU), der frühere Ministerpräsident von Baden-Württemberg, Winfried Kretschmann (Bündnis 90/Die Grünen), Ministerpräsident von Baden-Württemberg, und Winfried Hermann (Bündnis 90/Die Grünen), Verkehrsminister von Baden-Württemberg. | Bild: Bernd Weißbrod/dpa

Aktuell fahren die Fahrgäste also zwischen Stuttgart und Ulm quasi noch mit der reduzierten Version der Neubaustrecke. Trotzdem greift beim Start das Gefühl um sich, dass es in Deutschland doch noch möglich ist, Großprojekte umzusetzen. Selbst Regionalzüge werden auf der Strecke mit Tempo 200 unterwegs sein, mit dem ICE geht es dann sogar auf bis zu 250 Kilometer pro Stunde hoch.

Jetzt ist aber erst einmal ein Tag zum Feiern, dementsprechend gut gelaunt fahren die ersten Fahrgäste mit dem ICE, den die Bahn extra mit den Deutschland-Farben hat verzieren lassen, die Strecke nach Ulm. Nur wenige Minuten nach dem Start in Stuttgart fährt der Zug dann ab Wendlingen auf den Gleisen der Neubaustrecke die restlichen 60 Kilometer bis nach Ulm.

485 Meter lang: die Filstalbrücke auf der Bahn-Neubaustrecke zwischen Wendlingen und Ulm.
485 Meter lang: die Filstalbrücke auf der Bahn-Neubaustrecke zwischen Wendlingen und Ulm. | Bild: Christoph Schmidt/dpa

Es geht durch zwölf Tunnel und über 37 Brücken – hier allen voran die spektakuläre, 485 Meter lange Filstalbrücke. Die mit einer Höhe von 85 Metern dritthöchste Eisenbahnbrücke Deutschlands überquert das Filstal sowie die Autobahn 8, die durch die Neubaustrecke in Zukunft entlastet werden soll. Im Zug selbst fällt die Fahrt über das architektonisch beeindruckende Bauwerk mit seinen Ypsilon-förmigen Brückenpfeilern kaum auf, in wenigen Sekunden ist das Ende der Brücke erreicht.

In Ulm angekommen sind dann in den Reden viele Superlative zu hören. Bahn-Chef Lutz spricht mit Blick auf die Neubaustrecke von einer „Revolution fürs Bahnfahren“, zudem fahre auf der Strecke in Zukunft „der schnellste Regionalzug Deutschlands“. Verkehrsstaatssekretär Theurer nennt die gesamte Verbindung mit den Tunneln und Brücken zwischen Wendlingen und Ulm ein „Jahrhundertprojekt“ und bezeichnet die Planung und den Bau als „Meisterstück der Ingenieurskunst“.

Protest in Stuttgart: Gegnerinnen des milliardenschweren Bahnprojekts Stuttgart 21 stehen vor der Eröffnung der Neubaustrecke.
Protest in Stuttgart: Gegnerinnen des milliardenschweren Bahnprojekts Stuttgart 21 stehen vor der Eröffnung der Neubaustrecke. | Bild: Bernd Weißbrod/dpa

Er meint damit neben der Filstalbrücke vor allem den 8800 Meter langen Boßlertunnel, den knapp 8200 Meter langen Albvorlandtunnel, den Albabstiegstunnel (mehr als 5900 Meter) und den Steinbühltunnel (knapp 4900 Meter).

Die einzige Haltestelle auf der jetzt fertiggestellten Neubaustrecke zwischen Wendlingen und Ulm ist übrigens der neue Bahnhof in Merklingen. Zwei weiße mehrstöckige Türme ragen unmittelbar neben der Autobahn nach oben – sie fallen an dem neuen Bahnhof am meisten auf.

Blick aus dem Lokführerstand auf die Neubaustrecke zu sehen.
Blick aus dem Lokführerstand auf die Neubaustrecke zu sehen. | Bild: Bernd Weißbrod/dpa

Jedoch ist der Halt für die ganze Region des Alb-Donau-Kreises ein verkehrspolitischer Epochenwandel. 53 Millionen Euro hat der Merklinger Bahnhof gekostet, an dem allerdings künftig nur die Regionalzüge der Neubaustrecke halten werden. Beeindruckend ist jedenfalls, dass zwölf Gemeinden extra einen Zweckverband gegründet hatten, um den gemeinsamen Bahnhof mitzufinanzieren. Über 400 Parkplätze sind zudem vorhanden, damit möglichst viele über „Park And Ride“-Möglichkeiten in den Zug umsteigen.

„Stuttgart und Ulm rücken zusammen. Aber auch Paris und Budapest.“
Winfried Kretschmann, Ministerpräsident von Baden-Württemberg

Doch zurück nach Ulm in die Sedelhof-Passage im Hauptbahnhof. Dort tritt Ministerpräsident Kretschmann ans Rednerpult. „Stuttgart und Ulm rücken zusammen. Aber auch Paris und Budapest“, so der Grünen-Politiker. Gerade für Baden-Württemberg als Exportland im Herzen Europas sei dies ein wichtiger Aspekt. Zudem leiste die Verbindung einen wichtigen Beitrag zu einer klimaschonenden Mobilität für alle. „Nur mit hochmodernen, gut ausgebauten Zugverbindungen bringen wir den Verkehr weg von der Straße und aus der Luft auf die Schiene“, erklärt Kretschmann.

Ähnlich sieht es in der sehr frischen Bahnhofshalle auch Walter Götz von der EU-Kommission. „Die Neubaustrecke wird künftig auch Regionen und Städte aus dem Westen Europas mit Regionen und Städten in Zentral- und Osteuropa besser miteinander verbinden und grenzüberschreitende Bahnverkehre auf Fernstrecken attraktiver machen“, sagt er. Neben den Investitionen von Bund und Land flossen auch Mittel aus Brüssel in die Neubaustrecke.

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In den Schlagzeilen sind an dem Tag jedoch am Rande auch drei Touristen aus den USA. Diese sind laut Medienberichten bereits vor ein paar Tagen in Plochingen (Kreis Esslingen) in einen Zug eingestiegen, um nach Metzingen (Kreis Reutlingen) zu fahren. Da es sich um einen Testzug für die Neubaustrecke handelte, kamen die Passanten verdutzt in Ulm an. Die Bahn erklärte aber danach, man habe sich „gut um sie gekümmert“ – und die drei Amerikaner seien „in den Genuss einer verfrühten Premiere gekommen“.