Selten klaffen juristische Argumentation und das Rechtsempfinden von Otto Normalbürger so weit auseinander wie im Fall der Strafbarkeit des so genannten „Containerns“. Wer weggeworfene, aber noch problemlos genießbare Lebensmittel etwa aus den Müllcontainern von Supermärkten fischt, macht sich strafbar. Man muss kein nachhaltigkeitsbewegter Ökofundamentalist sein, um das absurd zu finden. Aber so ist die aktuelle Rechtslage in Deutschland. Und es besteht kaum Hoffnung, dass sich daran etwas ändert.
Seit 2016 gilt die Verpflichtung der EU – eigentlich
10,9 Millionen Tonnen weggeworfener Lebensmittel im Jahr 2020 meldete das Statistische Bundesamt im Juni für Deutschland an die EU-Kommission. Groß war die Hoffnung, als der grüne Landwirtschafts- und Ernährungsminister Cem Özdemir gleich zu Beginn seiner Amtszeit ankündigte, endlich gegen die Lebensmittelverschwendung vorgehen zu wollen. Dazu ist Deutschland wie alle EU-Staaten seit 2016 ohnehin verpflichtet, ließ es aber bislang bei Appellen bewenden. Damit wollte die Ampel eigentlich Schluss machen.
Im Ampel-Koalitionsvertrag liest sich das noch so: „Wir werden gemeinsam mit allen Beteiligten die Lebensmittelverschwendung verbindlich branchenspezifisch reduzieren, haftungsrechtliche Fragen klären und steuerrechtliche Erleichterung für Spenden ermöglichen.“ Davon aber kann jetzt keine Rede mehr sein.
An eine Änderung des Strafrechts ist gar nicht gedacht
Das Agieren der Bundesregierung ist mut- und folgenlos. Am deutlichsten zeigt sich das bei der Diskussion um das Containern, das Özdemir gemeinsam mit dem FDP-Justizminister Marco Buschmann eigentlich straffrei stellen wollte. Wie sich jetzt aber zeigt, war dabei an eine Änderung des Strafrechts durch die Bundesregierung gar nicht gedacht. Vielmehr sollen die Länder eine Änderung der Richtlinien für den Straf- und Bußgeldkatalog beschließen. Es ist aber etwas ganz anderes, den Ländern zu empfehlen, von einer Strafverfolgung abzusehen, als die Strafbarkeit selbst abzuschaffen.
Das ist alles andere als ein klares Signal, der Lebensmittelverschwendung, die sich durch alle Teile von Wirtschaft, Handel, Gastronomie bis in die Verbraucherhaushalte zieht, endlich den Kampf anzusagen. Es stimmt: Im Handel fallen insgesamt nur rund sieben Prozent aller in Deutschland weggeworfenen Lebensmittel an. Der Löwenanteil fällt in Privathaushalten an – für 59 Prozent der Lebensmittel, die in der Mülltonne landen, sind die Verbraucher selbst verantwortlich. Aber die Symbolwirkung einer Straffreiheit des „Containerns“ gegen Verschwendung wäre dennoch gar nicht zu überschätzen.
In Frankreich müssen Supermärkte Strafe zahlen
Seit die Bekämpfung der Lebensmittelverschwendung erklärtes Ziel der EU ist, müssen die Mitgliedsstaaten alljährlich berichten, welche Schritte sie unternommen haben und wie erfolgreich sie dabei sind. Zwar müssen Fragen wie die Festlegung der Standards für das Mindesthaltbarkeitsdatum – das ursächlich für viele weggeworfene Lebensmittel ist – auf EU-Ebene entschieden werden. Aber dennoch wird in anderen europäischen Ländern deutlich ehrgeiziger vorgegangen, wo es die EU-Rechtslage erlaubt. In Frankreich etwa müssen größere Supermärkte Strafe zahlen, wenn sie Lebensmittel in den Müll werfen, statt sie an Tafeln oder Bedürftige zu spenden. In Italien werden die Haftungsrisiken für diejenigen, die gespendete Lebensmittel weitergeben, reduziert und es wird damit Rechtssicherheit für Organisationen wie Tafeln geschaffen.
Auch in Deutschland gibt es viele Vorschläge, was vom Bund an Lenkungsmaßnahmen unternommen und angeschoben werden könnte, um die Verschwendung zu minimieren – etwa Haftungs- und Steuerbefreiungen für gespendete Lebensmittel zu erlassen. Schon mit finanziellen Anreizen für Verarbeiter, Handel und Gastronomie ließe sich hier durchaus viel bewegen. Die Pläne von Özdemirs Ministerium dagegen lesen sich wenig ambitioniert. Bis 2025 sollen jetzt konkrete Maßnahmen entwickelt und getestet werden. Ein Armutszeugnis.