Ein seltenes wie auch bewegendes Ereignis: Der sonntägliche Gottesdienst in der Konstanzer Kirche St. Gebhard ist beendet. Bevor die prachtvolle Orgel zu einem angemessenen Postludium ansetzt, wird eine Erklärung verlesen. Der bisherige Pfarrer Andreas Rudiger lässt darin erklären, dass er Vater wird und deshalb sein Amt als Priester und Leiter der Seelsorgeeinheit Konstanz-Petershausen nicht mehr weiterführen wird. Beifall brandet auf, der signalisiert: Die Gemeinde in dem weiten Kirchenschiff hat Verständnis für den Schritt. Ihr Priester hat eine Zeitlang ein "Doppelleben" geführt, wie er es selbst nennt. Jetzt macht er reinen Tisch, indem er an die Öffentlichkeit geht.
Bis zur Laisierung eines Priesters ist es ein langer Weg
Was die Breite des katholischen Volks inzwischen akzeptiert oder sogar gutheißt, lässt in Freiburg sämtliche Alarmglocken klingeln. Das wohlmeinende Verständnis der Kirchenöffentlichkeit ist das eine – das komplizierte Kirchenrecht das andere. Die Paragrafen des Corpus Iuris Canonici (CIC) entlassen den Priester nicht so schnell aus dem herausgehobenen Stand des Klerikers. Vielmehr setzt ein solcher Schritt einen langwierigen und schmerzlichen Prozess in Gange. Bis zur Laisierung eines Priesters ist es ein langer Weg. Die Tatsache, dass dieser Weg über Rom führt und von dort wieder zurück nach Freiburg, macht die Sache nicht einfacher. Der Prozess gestaltet sich zeitraubend und kann, wie Fälle der Vergangenheit zeigen, auch demütigend sein.

Die letzte Entscheidung liegt beim Bischof, in diesem Fall also Stephan Burger in Freiburg. Der betroffene Pfarrer kann aber die Weichen stellen, sagt Michael Hertl, Sprecher des Erzbistums Freiburg. Wenn er seine Partnerin heiratet oder weiterhin mit ihr zusammenlebt, kann er das Priesteramt nicht länger ausüben. Er wird suspendiert und sofort von seiner Arbeit abgezogen. "Nur wenn er Priester bleibt, kann er weiterhin Gottesdienste feiern," sagt Hertl. Dafür müsste er die Beziehung aber beenden.
Folgenreiches Gelübde
Kern der Regelung ist der Zölibat. Bei seiner Weihe verspricht der angehende Priester seinem Bischof in die Hand, dass er enthaltsam leben wird. Das ist ein folgenreiches Gelübde, das den meist jungen Kandidaten abverlangt wird. Wer dieses Versprechen bricht und der Vorgang bekannt wird, setzt einen Automatismus in Gang, der zur Suspendierung führt. "Ehe und Priesteramt schließen sich aus", berichtet Michael Hertl, und: "Der Einzelne muss entscheiden, wie er in Zukunft leben will." Immer wieder scheitern Männer an dieser hohen Hürde. "In den siebziger Jahren haben die katholischen Pfarrer reihenweise geheiratet," berichtet der Konstanzer Stadtpfarrer Mathias Trennert-Helwig, 66. Darunter waren viele fähige Seelsorger und soziale Talente. "Wir hätten heute ein gewaltiges Potenzial, wenn diese Männer noch dabei wären", seufzt der Dekan im Gespräch.
Die Erklärung von Andreas Rudiger ist der zweite Fall in diesem Jahr für Südbaden. Vor zwei Monaten wurde auch Jens Fehrenbacher von seinen Aufgaben entpflichtet. Der 47-Jährige leitete bis dahin die Seelsorgeeinheit im mittleren Elztal mit fünf Pfarrgemeinden. "Um ehrlich und wahrhaftig weiter leben zu können", schreibt er, habe er den Erzbischof um diesen Schritt gebeten. Über die finanzielle Seite hieß es damals: "Das Erzbistum lässt niemanden fallen und überprüft, wo im Einzelfall welche Unterstützung nötig ist", sagte Lisa Maria Pleske vom Ordinariat dem "Schwarzwälder Boten".
"Jeder dieser Fälle ist für die Bistumsleitung ein Schlag"
Fehrenbacher stammt aus Pfohren bei Donaueschingen. Er lernte erst Fotograf und übte diesen Beruf zunächst auch aus. Als Spätberufener kam er dann zum Studium der Theologie. Sein Heimatort hatte die Priesterweihe vor 12 Jahren groß gefeiert, das ganze Dorf war auf den Beinen. Man war stolz auf den Priester aus dem eigenen Ort und den eigenen Reihen. Die Jahre als katholischer Vikar verbrachte er unter anderem in Markdorf im Bodenseekreis, bevor er den räumlich umfassenden Sprengel im Elztal im Schwarzwald übernahm. Für ihn und für seinen Kollegen Rudiger gilt: Sie waren beliebte Seelsorger mit viel Schwung und guten Ideen. Für die katholische Kirche und die badische Diözese sind Personalien dieser Art bitter. "Jeder dieser Fälle ist für die Bistumsleitung ein Schlag", weiß Dekan Trennert-Helwig.
Wie geht es mit einem suspendierten Pfarrer weiter? Er fällt finanziell und auch rechtlich nicht ins Bodenlose, heißt es im Ordinariat erst einmal. Denn während der Dienstzeit in einer Pfarrei zahlte er bereits in die kirchliche Versorgungskasse ein – ein Fonds, den jede deutsche Diözese für die eigenen Priester einrichtet. Dem Vernehmen nach ist der Topf gut gefüllt. Während seiner Arbeit erwirbt jeder Seelsorger Ansprüche an diese Kasse, die er auch als Laie nicht verliert. Er nimmt diese Ansprüche mit, wohin er auch gehen mag. Was er allerdings verliert, ist der beamtenähnliche Status, der er im Mangelberuf Pfarrer genießen konnte. Diese Jobgarantie ist damit verwirkt.
Die Erzdiözese wirft dem am Zölibat gescheiterten Pfarrer nicht sämtliche Türen zu. Erzbistums-Sprecher Hertl weist darauf hin, dass dem Laien in der Kirche mancher Beruf offen steht, zumal immer mehr offene kirchliche Stellen mit Nicht-Priestern besetzt werden müssen. Ein zweiter Start als Religionslehrer, Pastoralreferent oder Seelsorger in Krankenhaus sei denkbar. Oder in der gut bestückten kirchlichen Verwaltung. Diesen Weg sei man bereits mehrfach gegangen. Die Kirche bleibt in diesem Fall Arbeitgeber, wenn das von beiden Seiten gewünscht wird. Der Betroffene verliere zwar seinen Status als Priester, sein akademisches Studium und seine gehäufte Erfahrung bleiben ihm erhalten, ebenso sein stattliches Netzwerk.
Andreas Rudiger war am Montag für eine Stellungnahme nicht zu erreichen. Sein Büro steht leer. "Er hat sich zurückgezogen und nimmt eine Auszeit," heißt es von Seiten des Pfarrgemeinderats.
Laisierung
Ein katholischer Priester ist geweiht. Das unterschiedet sie grundsätzlich vom Laien. Als Priester gehört er einem anderen Stand an – dem Stand der Kleriker. Der Bischof kann ihn wieder in den Laienstand, also das Kirchenvolk, zurückversetzen. Damit ist er wieder frei für eine Heirat ("liber"), was ein Kleriker nicht ist. Im Gegenzug darf der laisierte Theologe keine priesterlichen Handlungen mehr wahrnehmen, also Sakramente spenden. (uli)