Vor dem Gerichtssaal stehen die Menschen Schlange. Viele Medienvertreter sind darunter, aber auch interessierte Bürger. „Ich komme immer wieder zu Verhandlungen – aus Interesse“, sagt ein Mann beim Hineingehen. Was diesen Fall besonders mache, fragt eine Journalistin: „In diesem Fall sind es bedauerlicherweise hauptsächlich Ausländer, die angeklagt sind“, antwortet er, ohne zu überlegen.

Medienvertreter warten vor Prozessbeginn vor dem Landgericht Freiburg.
Medienvertreter warten vor Prozessbeginn vor dem Landgericht Freiburg. | Bild: Mirjam Moll

Die AfD hatte versucht, den Fall für sich zu instrumentalisieren, als er im Spätherbst bekannt wurde. Auf der Anklagebank sitzen an diesem Morgen acht Syrer, ein Algerier, ein Iraker und ein Deutscher. Sie sind alle recht jung, zwischen 18 und 29 Jahre alt.

Genau deshalb ist auch Martina Steinmetz gekommen. Die Erzieherin will nicht, dass Flüchtlinge vorverurteilt werden, will sich überzeugen, dass ein fairer Prozess stattfindet: Das wurde von der AfD so hochgeschaukelt“, findet sie und hofft auf ein gerechtes Urteil – „für beide Seiten“.

Schockierende Tat

Eine junge Frau geht in eine Disco im Industriegebiet, sie ist gerade 18 Jahre alt, will feiern – und wird stattdessen von mehreren Männern vergewaltigt. Die Kripo ermittelt mit Hochdruck, zeitweise sind 13 Ermittler an dem Fall dran.

Prozessauftakt in Freiburg: Unsere Redakteurin Mirjam Moll berichtet vor Ort  vom ersten Tag.
Prozessauftakt in Freiburg: Unsere Redakteurin Mirjam Moll berichtet vor Ort vom ersten Tag.

Zunächst war von acht Tatverdächtigen die Rede, als die Spurensicherung DNA-Mischspuren auswerten kann, steigt die Zahl. Heute sitzen elf Angeklagte vor Gericht, kurz zuvor wurden die Ermittlungen gegen einen zwölften Mann eingestellt, weil die Beweislage nach Angaben der Staatsanwaltschaft nicht ausreichte. Nach einem 13. Mann wird seit Jahresbeginn mit einem Phantombild gesucht – bislang vergebens.

Mit fast einer Stunde Verspätung werden die Angeklagten nacheinander hereingeführt. Sie sind auf Haftanstalten in ganz Baden-Württemberg verteilt, mit entsprechend langen Anfahrten. Manche tragen ein Hemd, die meisten T-Shirts oder Kapuzenpullis und Sneakers. Es fällt auf, dass viele Nike tragen. Die Männer ringen um ihr Ansehen, weil sie verdächtigt werden, eine wehrlose Frau missbraucht zu haben.

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Einer der Angeklagten, Mohamed H., tritt extrem aggressiv auf. Er brüllt etwas auf Arabisch, als er hereingeführt wird, wehrt sich gegen die Beamten. Er trägt eine Kappe, tief über die schwarzen Locken ins Gesicht gezogen.

„Schau mir nicht in die Augen“

Der junge Mann will sich kaum mehr beruhigen. Er bemerkt, dass die Kameras auf ihn gerichtet sind. Er wird noch wütender, zeigt den Mittelfinger in Richtung der Journalisten und sagt mit drohendem Unterton: „Schau mir nicht in die Augen.“ Auftakt eines Mammutprozesses. Richter Stefan Bürgelin entschuldigt sich für den eng besetzten Raum, der für die Verhandlung extra umgebaut wurde, um alle Angeklagten und ihre Strafverteidiger unterzubringen. „Wir sind an die Grenzen unserer Kapazitäten gestoßen“, sagt Bürgelin.

Neben den Angeklagten und ihren Anwälten sind mehrere Sachverständige, Psychiater und Rechtsmediziner, Vertreter der Jugendhilfe und ein Dolmetscher anwesend. Zahlreiche Journalisten sitzen in den verbleibenden Stuhlreihen vor den Verhandlungstischen, oben auf der Empore die Zuschauer. 47 Zeugen sind geladen. Schon jetzt sind Termine bis zum Jahresende festgelegt.

Der Hauptangeklagte Majd H. mit seinem Anwalt Jörg Ritzel.
Der Hauptangeklagte Majd H. mit seinem Anwalt Jörg Ritzel. | Bild: Mirjam Moll

Die Anklageschrift, die Staatsanwalt Rainer Schmid verliest, hat es in sich. Sie beschreibt, wie Majd H. und Alaa A. im Hans-Bunte-Areal, wo eine Technoparty stattfand, mit Ecstasy dealten. Sie bieten auch Franziska W. und ihrer Freundin von den Pillen an.

Unter Drogen

Sie kaufen zwei Stück für 15 Euro und schlucken die Tabletten. Die junge Frau kommt mit Majd H. ins Gespräch, unter anderem wegen seiner auffälligen Tattoos. Er gibt ihr ein Glas mit Wodka Bull, in dem ein nicht näher bekanntes Betäubungsmittel oder sogenannte Ko-Tropfen beigemischt wurden. Unter dem Vorwand, der 18-Jährigen seine Tätowierungen am Oberschenkel zeigen zu wollen, gingen die beiden nach draußen.

Sie steuern jenes Gebüsch an, das später Ziel vieler Kameras wurde. Unmittelbar neben dem Hintertor der Disco, direkt an einer Straßenkreuzung. Majd H. lässt laut der Anklageschrift seine Hose herunter, zeigt das Tattoo. Franziska W. will zurück in den Club. Doch der Mann packt sie, als sie sich zum Gehen umwendet. Er zerrt die junge Frau, die einen Rock trägt, zu Boden, reißt ihr Strumpfhose und Unterwäsche vom Leib. Er drückt sie zu Boden und vergeht sich an ihr, hält ihr mit einer Hand den Mund zu, mit der anderen drückt er sie nach unten.

Das Opfer habe zu diesem Zeitpunkt schon deutlich unter dem Einfluss von Drogen gestanden, betont der Staatsanwalt. Dennoch habe sie deutlich gezeigt, dass all das gegen ihren Willen geschieht. Irgendwann lässt Majd H. von ihr ab, lässt die wehrlose junge Frau im Gebüsch zurück. Seine Bekannten im Club lässt er wissen, dass da eine im Gebüsch liegt und man „mit ihr ficken“ könne, zitiert Schmid.

Die Folter im Gebüsch ging laut Anklageschrift über Stunden

Die jungen Männer verlassen nach und nach den Club, suchen das Gebüsch auf oder werden sogar dorthin geführt, der nächste ist Alaa A., der die 18-Jährige missbraucht. Diese weint. Der Angeklagte macht weiter, lässt sie einfach da liegen, geht. So wird die wehrlose Frau durchgereicht, von einem zum nächsten, teils zugleich missbrauchen sie die unter Drogen stehende Frau.

Einige von ihnen tragen Kratzspuren davon, Franziska W. versucht benebelt, sich zu wehren, kratzt mit ihren Fingernägeln oder mit Stöcken, die sie zu fassen bekommt. Die Männer lassen dennoch nicht von ihr ab. Der letzte von ihnen hilft ihr schließlich auf, als die Drogen nachlassen. Die Folter im Gebüsch ging laut der Anklageschrift über Stunden, kurz nach Mitternacht bis 3 Uhr morgens. Kurz darauf sucht die 18-Jährige die Polizei auf und erstattet Anzeige.

Das alles überzeugt den Verteidiger von Majd H. nicht. In einer Pause sagt er dem SÜDKURIER, er fordere ein gerechtes Urteil für seinen Mandanten. Das könne nur ein Freispruch sein. Denn: „Mein als Täter gehandelter Mandant bestreitet eine Vergewaltigung. Der Sex sei einvernehmlich gewesen, sogar massiv gefordert“, sagt der Anwalt. Die DNA-Spuren, die Majd H. belasten, seien daher nicht relevant.

Zweifel an der Anklage

Er ist nicht der einzige Strafverteidiger, der die Schuld seines Mandanten in Zweifel zieht. Auch Jan-Georg Wennekers bezweifelt, dass Muhamad M. einer der Mittäter gewesen sein soll. In seinem Fall gebe es keine DNA-Spuren, es stehe Aussage gegen Aussage.

Dann holt er aus: Durch die öffentliche Aufmerksamkeit sei ein Ergebnisdruck entstanden, der ein faires Verfahren gefährde. Einen „ungekannten Aufwand“ bei den Ermittlungen hätte die Polizei betrieben. Und die Staatsanwaltschaft habe den Begriff „Gruppenvergewaltigung“ geprägt, obwohl „dies einen Tat-hergang suggeriert, den nicht einmal die Anklageschrift trägt“.

Prozessauftakt im Landgericht Freiburg zur mutmaßlichen Gruppenvergewaltigung: Drei der elf Angeklagten halten Ordner vor ihr Gesicht.
Prozessauftakt im Landgericht Freiburg zur mutmaßlichen Gruppenvergewaltigung: Drei der elf Angeklagten halten Ordner vor ihr Gesicht. | Bild: Thomas Keinzle (AFP)

Die Medien hätten zudem eine Vorverhandlung betrieben und Angeklagte identifiziert, sagte er. Anwältin Kerstin Oetjen beklagte die Berichterstattung einer Lokalzeitung am Prozesstag. Die Presse betreibe emotionale Stimmungsmache. Richter Bürgelin konterte. „Es ist nicht Aufgabe der Verteidiger, die Presse zu kommentieren.“ Ob sich die Taten so bestätigen, wie in der Anklage beschrieben, müsse sich erst noch zeigen, setzt Oetjen nach. Schließlich sei die Frau nicht mehr zurechnungsfähig gewesen. Ein empörtes Raunen, teils ungläubiger Lacher gehen durch den Zuschauerraum.

Die Unschuldsvermutung gelte für alle Angeklagten, fordert Oetjen, die an der Anklage zweifelt. „Vieles wird von der Glaubwürdigkeit des Opfers abhängen“, mutmaßt Anwalt Ritzel. Sie ist während des Prozesses nicht anwesend, lässt sich durch einen Rechtsbeistand vertreten. Sie wird als Belastungszeugin auftreten – unter Ausschluss der Öffentlichkeit. In einer Mitteilung des Gerichts heißt es, weder die Angeklagten noch die Nebenklägerin hätten die Öffentlichkeit gesucht. Doch dafür ist es zu spät. Der Fall polarisiert – und verlangt nach Aufklärung.