Wirklich angenehm war es nicht für Guido Wolf, fast eine halbe Stunde zu spät zu kommen. Als Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) um zehn Uhr seine mit einiger Spannung erwartete Regierungserklärung mit dem Verweis auf die Verantwortung fürs Land begann, blieb einzig Wolfs Platz auf der Regierungsbank leer. Die einen vermuteten, dass der Justizminister noch den Vorabend auskurieren musste, als die Koalitionsverhandler ein kleines Dankeschön-Fest feierten. Andere sahen darin schon eine bewusste Provokation. Am Ende soll es der übliche Stau auf der A 81 gewesen sein, der Wolf ausgebremst hatte, und kein gezielter Affront.
Hier finden Sie die Regierungserklärung von Ministerpräsident Kretschmann im Wortlaut.
Und doch stand das Miteinander der Fraktionen im Landesparlament im Fokus. Am Applausverhalten der Abgeordneten konnte man vieles ablesen an diesem ersten Tag der parlamentarischen Debatte. Auf dem Präsidentenstuhl saß Muhterem Aras, flankiert von zwei Nebensitzern – der Grünen Susanne Bay und erstmals vom AfD-Mann Heinrich Fiechtner.
“Demokratisches Reifezeugnis“
Kretschmann, der erst in den frühen Morgenstunden aus Berlin vom EEG-Gipfel zurückkam, hielt sich an den fein austarierten, 30 Seiten starken Redeentwurf. „Diese grün-schwarze Koalition ist ein echtes Novum in der Geschichte unseres Landes“, sagt der 67-Jährige. Deshalb passe sie so gut zu Baden-Württemberg, das traditionsbewusst und bodenständig, aber auch neugierig und innovativ zugleich sei. Den Koalitionsvertrag nannte er ein „demokratisches Reifezeugnis“. Die starke Verankerung von Grünen und CDU in der aktiven Bürgerschaft des Landes bürge für Verlässlichkeit. „Beide Parteien vertreten die gesellschaftliche Mitte Baden-Württembergs.“
Kretschmann sprach über Wirtschaft und Digitalisierung, über ökologische und finanzielle Nachhaltigkeit, das Bildungssystem, die Stärkung der Inneren Sicherheit sowie Integration und den gesellschaftlichen Zusammenhalt. Es zeigte sich, wie schwer sich mancher Abgeordnete von Grünen und CDU noch immer damit tut, dem jeweils anderen Applaus zu spenden. Die Grünen haben es etwas leichter, weil vorne ihr beliebter Ministerpräsident steht. Die CDU jedoch musste sich zusammennehmen. Wie mit Senkblei beschwert hoben sich manche Hände zum Applaus – je nach Thema wie bei der Oberstufe für Gemeinschaftsschulen auch mal gar nicht. Dabei mühte sich Kretschmann, es allen recht zu machen. Er kündigte einen Demografie-Beauftragten an (von der CDU verlangt), aber auch einen Bürgerbeauftragten (Grünen-Wunsch). Die Passagen über CDU-Leidenschaftsthemen gerieten etwas länger, wenn nicht aufgepumpt, die Redeteile, die die grüne Seele streichelten, hielt er knapper.

Gut ablesbar waren die Vorlieben und Schwerpunkte der Parteien. Bei Signalworten wie Naturschutzstrategie oder Klimaschutz fielen zuerst die Grünen-Abgeordneten in Beifall ein und dann die CDU-MdL. Bei Stichwörtern wie „bäuerlicher Familienbetrieb“ oder „Sicherheit im öffentlichen Raum“ waren wiederum die CDU-Parlamentarier schnell dabei und manche Grünen-Hand blieb auf dem Schoß liegen. AfD, SPD und FDP war kaum eine Äußerung des grünen Regierungschefs Beifall wert. Erst gegen Ende, so sah es die Rededramaturgie vor, holte Winfried Kretschmann beim Thema „Integration und gesellschaftlicher Zusammenhalt“ alle ins Boot – alle, außer die AfD-Fraktion.
Klare Ansage an die Neulinge der AfD
Der Zusammenhalt der Gesellschaft sei ihm ein „persönliches und überragendes Anliegen“, so Kretschmann. Das neue Sozial- und Integrationsministerium sieht er als „echtes Gesellschaftsministerium“. Kretschmann warnte vor rechtsnationalen Parteien, die die „autoritäre Versuchung“ verunsicherter Menschen befriedigten. Er positionierte Grün-Schwarz als Bündnis gegen „Verrohung und Brutalisierung der Sprache“, für eine Politik ohne Angst und ohne Angst zu machen, für Weltoffenheit und Heimatverbundenheit, ohne Nationalismus und Engstirnigkeit und schließlich für eine Politik der Liberalität statt einer „Politik des Ressentiments und der Hetze gegen Minderheiten“. Das war eine klare Ansage an die Neulinge der AfD, eine, die inklusiv wirkte: Grüne, CDU, SPD und FDP spendeten gemeinsam Beifall.
Nach der Rede war die Einigkeit schnell vorbei. SPD-Fraktionschef Andreas Stoch erkannte „sehr viele Wort-hülsen und Phrasen“. Manches sei aufgepumpt worden, was längst Regierungshandeln sei, so der frühere Kultusminister, anderes habe Kretschmann nicht konkretisiert. AfD-Fraktionsvorsitzender Meuthen sprach von einer „sehr blumigen Rede“. Hans-Ulrich Rülke (FDP) kritisierte das „Sammelsurium von Allgemeinplätzen“.
Regierungserklärung
Regierungserklärungen hält ein Ministerpräsident, auch eine Bundeskanzlerin meist dann, wenn er oder sie meint, es einem politischen Thema schuldig zu sein. Es soll die Regierungstätigkeit auf einem politischen Themenfeld besonders herausheben. Zu Beginn von Wahlperioden sind Regierungserklärungen üblich, dann freilich, um die Schwerpunkte der fünf Jahre dauernden Legislaturperiode zu umreißen. Allzu viel Konkretes findet sich meist nicht darin, denn ein dem Regierungshandeln zugrunde liegender Koalitionsvertrag wurde ja gerade von den Koalitionsparteien unterschrieben. Eher werden die groben Linien der Regierungspolitik gezeichnet.