Das fängt nicht gut an. Immo Opfermann holt eine alte Flasche aus dem Kofferraum, schraubt sie auf und hält sie dem Besucher unter die Nase. Der olfaktorische Eindruck ist gewaltig. Die braune Brühe in der Flasche riecht beizend bis benebelnd. Ein drückendes Aroma wie von altem Frittierfett oder schmorendem Asphalt. Die zähflüssige Masse in dem Gefäß wurde vor mehr als 70 Jahren aus dem Stein geholt. Es ist Schieferöl, das der Geschichtsführer Opfermann herumgehen lässt, um in eines der dunkelsten Kapitel der deutschen Geschichte einzustimmen.

Opfermann ist pensionierter Oberstudienrat. Seit Jahrzehnten kümmert er sich um die Gedenkstätten im Zollernalbkeis. Er hat unzählige Schulklassen am Schieferöl schnuppern lassen und sie dann – nach der markanten Einstimmung – in den Eckerwald hineingeführt. Dort kann man bis heute im Kleinen besichtigen, was die NS-Kriegs und Rüstungswirtschaft im Großen versuchte: Sie wollte neue Energieträger gewinnen. Sie benötigte frischen Treibstoff für Flugzeuge, Panzer, Lastwagen. Ohne Sprit kein Blitzkrieg.

Der Eckerwald zwischen den Gemeinden Zepfenhan und Schörzingen war Versuchslabor der NS-Wirtschaft. Diesen Status verdankt der Eckerwald seiner Geologie: Überall am Albtrauf wurden stattliche Vorkommen an Ölschiefer gefunden. So lag es nahe, aus dem plattenförmig geschichteten Stein Öl herauszupressen. Die ersten Versuche dazu waren vielversprechend. Im nahen Portlandzementwerk in Dotternhausen wurde unter zivilen Vorzeichen die schwarzklebrige Masse aus dem Stein gelöst. Ein Schwelverfahren war der Schlüssel.

Stalingrad am Horizont

Ähnliches sollte auch im „Außenkommando“ im Eckerwald geschaffen werden – diesmal unter den Vorzeichen von Zwangsarbeit, schlechter Ernährung und minimaler Ausrüstung. Und unter dem Damoklesschwert der militärischen Niederlage, die sich seit der Kapitulation der 6. Armee Anfang 1943 bei Stalingrad brutal abzeichnete. Wo heute üppiger Wald über die Betonblöcke kriecht, war 1944 eine Lichtung freigeschlagen worden. Dorthin wurden in der Frühe die Häftlinge aus dem nahen Konzentrationslager Schörzingen abkommandiert. Auf der kahlen Fläche hoben sie die Fundamente für Hallen, Magazine und Deponien aus.

Wehrmacht ohne Treibstoff

Die Opferzahlen zeigen die Dimension auf: Zeitweise saßen 1100 Häftlinge im nahen KZ ein. Die meisten von ihnen wurden in das „Unternehmen Wüste“ geworfen. Es hatte höchste Dringlichkeit, da die Wehrmacht rein treibstofftechnisch auf dem Trockenen saß. Öl aus Schiefer erschien als eine der letzten Möglichkeiten.

Vor allem die Luftwaffe mit General Milch war treibende Kraft. Eine Gesteinsschicht aus dem Erdmittelalter (Lias Epsilon) enthielt tatsächlich Bitumen. Daraus ließ sich ein spezieller Saft gewinnen: das Schieferöl mit seinem charakteristischen Geruch. Dafür musste viel Arbeit und Strom hineingesteckt werden. Aus 35 Tonnen Gestein tropften am Ende eine Tonne des schweren Kraftstoffs heraus. Eine bescheidene Ausbeute. Das Öl war zudem nur bei Dieselmotoren mit einem Glühkopf einsetzbar.

Dennoch blieb der Planwirtschaft in der zweiten Kriegshälfte wenig anderes übrig. Die Ölfelder im Kaukasus waren durch Niederlagen verspielt. 1944 gingen auch die Hydrierwerke in Leuna und Pölitz verloren. Die militärische Führung war auf Ersatz angewiesen. Genau dafür sollte der fette Schiefer am Fuß der Schwäbischen Alb herhalten.

Auf dem nahen KZ-Friedhof sind allein 549 Menschen begraben, die meisten von ihnen starben an Entkräftung und Auszehrung. Tod durch Arbeit. Nur wenige Zeugnisse sind aus dieser Zeit erhalten. Die meisten Häftlinge, die aus ganz Europa stammten, fertigten erst nach dem Weltkrieg ihre Notizen an. Demnach wurden sie gegen fünf Uhr morgens unsanft geweckt, um sich wenig später auf den Fußmarsch in den Eckerwald zu machen. Dort mussten sie ausgraben, schachten, betonieren.

Wer den Gedenkpfad heute abgeht, kann sich die Plackerei nur schwer vorstellen. Im Sommer ist der Wald angenehm kühl. Immo Opfermann berichtet von den derben Anstrengungen, um die Raffinerie für Hitlers Krieg zu bauen. Sein Kommentar legt sich wie ein Film über das Grün der Farne und die grauen Betonblöcke. Wenn man seine Worte ausblendet, erscheint das Ganze wie eine Szene aus einem Fantasy-Film. Die hohen Bäume glänzen in der Morgensonne. Ein Bannwald und ein verruchter Ort. Dazwischen die Trümmer – als Zeugen eines Regimes, das um jeden Tropfen Öl bettelte.

Adolf Hitler (im Auto) sitzt im ersten Käfer zur Probe (1936). Daneben Konstrukteur Ferdinand Porsche (Mitte).
Adolf Hitler (im Auto) sitzt im ersten Käfer zur Probe (1936). Daneben Konstrukteur Ferdinand Porsche (Mitte). | Bild: DB dpa

Sprengen nutzlos

Wie riesige Buchstaben aus den Setzkästen von Riesen liegen die Fundamente zwischen Farn und Moos. Erst die Erklärung des Geschichtsführers zeigt ihre Funktion auf und fügt die Buchstaben zu ihrem irren Sinn zusammen. Der Zahn der Zeit nagt auch dieser Trutz- und Trotz-Architektur. Doch nagt er langsam. In den 70er-Jahren verirrte sich das Technische Hilfswerk (THW) in den Eckerwald, um das Sprengen zu üben. Erreicht haben die Sprengmeister wenig, denn die Blöcke sind ausgesprochen solide. Aber doch eines: Die Öffentlichkeit wurde auf das wilde, herrenlose Gelände mit seinen braunen Ruinen aufmerksam.

So wurde der Eckerwald unter Schutz gestellt. Seit 30 Jahren kümmern sich Bürger um das Gelände. Ein Pfad umrundet die Anlagen und erklärt das kaum Erklärbare. Über das Areal verteilt sind Schautafeln und Karten. Die deutsche Gründlichkeit dient dieses Mal dem Bewahren und Erinnern, nachdem bis 1945 alles zerstört wurde.

Erklärungsbedürftig ist bis heute vieles. Während ein Uhu im Hintergrund pfeift, steigt man über bogenförmige Fundamente (siehe großes Bild oben). Auf ihnen saßen große Klärbecken, in denen das Öl von Schlamm und Schiefer getrennt wurde. Das war der entscheidende Vorgang. Für das Klärverfahren waren große Mengen an Strom nötig, weshalb auch ein großes Transformatorenwerk gebaut wurde. Im Februar 1945 dann die Einsicht: Hier wird mehr Energie hineingesteckt als herausgeholt. „Wüste 10“, wie der Eckerwald SS-intern hieß, war ein Verlustgeschäft. Sechs Monate lang hatten Männer geschuftet und gelitten, waren gestorben. Das Lager wurde geschlossen, die Lichtung wuchs zu. Das Alteisen holten Händler. Der Beton bleibt, Mauern in Bunkerstärke.

Der Eckerwald war Teil des „Unternehmens Wüste“. An zehn Orten in der Region quetschten Hunderte Häftlinge unter Anleitung einer Handvoll von Ingenieuren den Schiefer aus. Schömberg, Bisingen, Dautmergen, Dormettingen heißen die Orte. Alle sitzen auf tiefgründigen Vorkommen von Ölschiefer, den man damals für graues Gold hielt. Die Lager waren in der Bevölkerung bekannt, da die Gefangenen täglich aus den Baracken über die Landstraße zur Arbeit gezwungen wurden. Mitleidige Bauern warfen ihnen Kartoffeln zu. Andere verboten ihren Kindern, in die Nähe der Lager zu gehen. Gewusst haben es alle. Dachau war kein ferner Ort – es lag vor der Haustür der schwäbischen Dörfer.

Das undatierte Archivbild zeigt Häftlinge des Konzentrationslagers Dachau bei der Herstellung von Waffen.
Das undatierte Archivbild zeigt Häftlinge des Konzentrationslagers Dachau bei der Herstellung von Waffen. | Bild: dpa

Was konnte der Einzelne tun? Es gibt bemerkenswerte Menschen, die tief in die Diktatur verstrickt waren und eine Uniform trugen – und doch nicht konform handelten, als es zur Sache ging. Einer heißt Erwin Dold. Er stammte aus dem kleinen Ort Wagensteig (bei Kirchzarten) und rückte in den letzten Kriegsmonaten zum Kommandanten des KZ Dautmergen auf, das auch Teil des „Unternehmen Wüste“ war.

Der gute KZ-Kommandant

Feldwebel Dold verhielt sich menschlich. Er verbesserte das Leben der Häftlinge. Und nützte die Spielräume, die es gab. Dold verweigerte auch eine Exekution an russischen Offizieren, die er hätte kommandieren sollen. Ihm ist nichts passiert. Am 1. Februar 1947 wurde er von den Franzosen wegen „erwiesener Unschuld“ freigesprochen. Ein KZ-Kommandant!

An das vielfache Leid erinnert der Gedenkpfad. Er wirkt eindringlich, weil die Botschaft unscheinbar daherkommt. Im saftigen Grün liegen die titanischen Blöcke. Sie haben keine Funktion und hatten nie eine. Es ist ein germanisches Walhalla in der Provinz. Nicht plakativ, sondern zwischen Blattwerk und Vogelschlag. Auch die Kunst hat sich der düsteren Stätte angenommen. Der Rottweiler Siegfried Haas, selbst Ex-Soldat, schuf eine Figur. Sie zeigt einen knieenden Gefangenen, dessen Hände über dem Rücken gebunden sind. Nach zwei Stunden verlässt man den verhexten Forst. Immo Opfermann schnuppert und meint: „Bis heute riecht es nach Schieferöl.“ Man muss nur die Augen schließen und seiner Nase vertrauen.

Sklaven des NS-Regimes: Konzentrationslager im Süden

  • Natzweiler: Der Ort liegt im Elsass,
    etwa 55 Kilometer südlich von Straßburg. Das KZ Natzweiler-Struthof wurde vom 1. Mai 1941 bis zum 23. November 1944 betrieben. 55 000 Häftlinge waren dort über die Jahre hinweg eingesperrt, 22 000 starben. Die Häftlinge kamen aus ganz Europa. Die meisten der Deportierten kamen aus Polen (13 800), der Sowjetunion (7600), Frankreich (6800) und aus Norwegen, meist aus politischen (60 Prozent) und rassistischen (11 Prozent) Gründen. Die Außenstellen, die am Unternehmen Wüste in Württemberg beteiligt waren, gehörten zum KZ Natzweiler. Sie sollten das Energieproblem lösen und aus Ölschiefer Öl gewinnen. Die SS betrieb auf diese Weise ein wirtschaftliches Imperium, für das sie keinerlei Löhne bezahlte. Natzweiler wurde aufgelöst, weil die Alliierten von Westen her kommend Richtung Rhein vorstießen. Der Kommandant von Natzweiler und seiner verzweigten Außenstellen residierte zuletzt in Stuttgart.
    Das KZ Natzweiler im Elsass.
    Das KZ Natzweiler im Elsass. | Bild: Andrew Wilson/LOOP IMAGES
  • Goldbach: Das KZ-Außenlager Überlingen-Aufkirch gehörte zum KZ Dachau. Es existierte von September 1944 bis April 1945. Durchschnittlich 700 KZ-Häftlinge wurden beim Bau des Goldbacher Stollens eingesetzt, in den Rüstungsbetriebe aus Friedrichshafen unterirdisch verlagert werden sollten.
    Eingang zum Stollen Goldbach/Überlingen
    Eingang zum Stollen Goldbach/Überlingen | Bild: Sylvia Floetemeyer
  • Dachau: In der Nähe von München stand eines der bekanntesten KZ, das bereits wenige Wochen nach dem Machtantritt der NSDAP 1933 errichtet worden war und bis 1945 betrieben wurde. In Dachau wurden politische Gegner des NS-Staates und viele Geistliche eingesperrt.
    Elektrozaun des ehemaligen KZ Dachau.
    Elektrozaun des ehemaligen KZ Dachau. | Bild: Fricker, Ulrich
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Hitler und die Spitzentechnik

Adolf Hitler und seine Gefolgschaft wollten ein germanisches Großreich im Osten errichten. Dafür benötigten sie Streitkräfte neuen Typs – durchtechnisiert vom U-Boot bis zum schnellen Panzer.

  • Wehrmacht: Mit größtem Schwung triebt das NS-Regime die Vergrößerung der Armee voran. Sie sollte die schlagkräftigste Armee Europas werden und zugleich die schnellste. Hitler ließ neue Flugzeuge entwickeln, schnellere Panzer, schwere Schiffe. Die Panzerwaffe erwies sich zu Beginn des II. Weltkriegs als äußerst wirksam, sie war Trägerin des Blitzkriegs – gleichzeitig wird sie extrem abhängig von Treibstoffen.
  • Autos: Hitler war bekennender Autonarr (wenn auch ohne Führerschein). Für seine Fortbewegung bestellte er schwere Wagen von Daimler-Benz – meist sind es offene Limousinen, die in einschüchternden Kolonnen vorfuhren. Die Autoindustrie wurde ab 1933 gefördert. Firmen wie Daimler Benz oder ZF beuteten später Zwangsarbeiter aus.
  • Volkswagen: Das Auto für alle war eine frühe Idee der Nationalsozialisten. Ferdinand Porsche entwirft den ersten Volkswagen (VW) – Vorläufer des Käfer. (uli)