Journalisten, die an ihrer Arbeit gehindert, offen beschimpft und bedroht werden. Seriöse Medien, die unbedarft als „Lügenpresse“ bezeichnet werden.
Falschmeldungen, Häme und Hetze, die ungeprüft und ungestraft auf Internetplattformen verbreitet werden.
Welche Rolle sollen Medien künftig spielen?
Tageszeitungen, deren Auflagen einbrechen, weil Halbwahrheiten kostenlos im Netz zu haben sind. Populisten, die für sich lautstark Meinungsfreiheit reklamieren und Andersdenkende niederbrüllen.
Ein US-Präsident, der die Lüge zur Wahrheit erklärt und die Wahrheit zu Fake News – wie sehr bedroht all das unsere Demokratie? Wie müssen Medien damit umgehen, welche Rolle sollen sie künftig spielen?
Haltungskampagne für guten Journalismus
Erstmals hat nun auch die Politik im Südwesten diese Fragen aufgegriffen und am Donnerstag nach Stuttgart eingeladen zum ersten medienpolitischen Kongress der Landesregierung.
Rund 350 Führungsköpfe aus Medien, Wissenschaft und Politik sind der Einladung des Staatsministeriums gefolgt, darunter auch die meisten Chefredakteure der baden-württembergischen Tageszeitungen, die eine gemeinsame Haltungskampagne für guten Journalismus gestartet haben.
„Ich habe mich über diese tolle Aktion unheimlich gefreut“, lobt Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) zum Auftakt des Kongresses.
Kretschmann: „Es geht um die Verteidigung der Demokratie“
Kretschmann warnt vor den Folgen der tiefgreifenden Umbrüche, denen die Medienlandschaft derzeit ausgesetzt ist. „Es geht heute um die Verteidigung der Demokratie gegen die neuen Feinde der öffentlichen Ordnung“, so Kretschmann.
„Das Eis, auf dem unser Parteiensystem und die Demokratie stehen und das uns für so viele Jahre Stabilität gegeben hat, wird dünn, die Zeitungen sterben, ohne dass digitale Kanäle Informationen nach ähnlichen Standards anbieten“, warnt Kretschmann.
Experte fordert Medienbildung als Schulfach
Kulturwissenschaftler und Ex-Staatsminister Julian Nida-Rümelin ruft zu einer Anti-Hysterie auf, die neuen Informationsmöglichkeiten im Netz sollte als Chance für die Revitalisierung der Demokratie genutzt werden.
„Die Auseinandersetzung ist mühsam, aber wir müssen das machen“, sagt er.
Medienforscher Bernhard Pörksen mahnt, bei der steten Warnung vor der Desinformation nicht in kompletten Kulturpessimismus zu verfallen. „Wer das postfaktische Zeitalter ausruft, spricht die Sprache der Resignation“, so Pörksen.
Als wichtiges Element zur Medienmündigkeit und dem Umgang mit gezielter Desinformation im Netz fordert er Medienbildung als Schulfach. Und den Medien selbst schreibt er ins Pflichtenheft: „Sich auf den Weg in die redaktionelle Gesellschaft machen.
Das Geschäftsmodell ändern. Auf Augenhöhe und im Dialog mit den Kunden sein. Transparent agieren und jede Möglichkeit geben, die Qualität der angebotenen Information einzuschätzen.“
Müssen soziale Medien stärker reguliert werden?
Doch herrscht mit Blick auf die US-Marktführer überhaupt eine Chancengleichheit? Paul-Bernhard Kallen, Vorstandschef des Hubert-Burda-Media-Konzerns, beantwortete diese Frage mit einem klaren Nein.
So sei die Telekom mit dem SMS-Dienst wie alle anderen klassischen Medien durchreguliert „bis der Arzt kommt“, so Kallen. Bei sozialen Massenmedien wie Facebook sehe das komplett anders aus.
„Diese hat man ohne jede Überlegung, ohne jede Regulatorik und ohne jede Verantwortung einfach auf die Menschheit losgelassen“, sagt er.
Es sei ein Fehler, hier alleine auf die Kräfte des freien Marktes zu setzen. Seine Schlussfolgerung: Soziale Medien müssen ebenfalls viel intensiver als bisher reguliert werden.
Habeck: „Grammatik der sozialen Medien verhunzt unsere politische Sprache“
„Hier sind Monopole entstanden, die weite Teile der Wirtschaft bedrohen“, erklärt Kallen. Für Ulrich Wilhelm, ARD-Chef und Intendant des Bayerischen Rundfunks, ist alleine eine stärkere Regulierung nicht ausreichend. Nötig sei eine digitale Plattform auf europäischer Ebene.
Teilnehmer in einer der Diskussionsrunden ist auch Grünen-Chef Robert Habeck.
Der Mann, der sich Anfang dieses Jahres quasi aus Selbstschutz bei Facebook und Twitter abgemeldet hat, sieht die sozialen Medien und deren Funktion extrem kritisch.
„Wenn wir erfolgreich sein wollen in den sozialen Medien, wie sie strukturiert sind, sind wir alle verführt, draufzuschlagen. Das ist das strukturelle Problem: Die Grammatik der sozialen Medien verhunzt unsere politische Sprache“, so Habeck.
Doch sind Medien auch genügend selbstkritisch? Bettina Schausten, stellvertretende ZDF-Chefredakteurin und Leiterin der Hauptredaktion Aktuelles, gesteht hier auch Fehler ein. „Wir haben in der Vergangenheit bestimmte Thematiken zu blasenhaft behandelt“, erklärt Schausten.
SÜDKURIER-Chefredakteur Stefan Lutz: Kongress ist „starkes Signal“ für freie Presse
SÜDKURIER-Chefredakteur Stefan Lutz, gemeinsam mit Geschäftsführer Michel Bieler-Loop in Stuttgart vor Ort, bewertet der Kongress als „ein sehr starkes Signal“ der Landesregierung für eine freie Presse. „Die Politik hat erkannt, dass sie das Medienthema viel aktiver besetzen muss, das macht man nicht so nebenbei“, sagt Lutz. „Wir müssen endlich eine breite Debatte darüber führen, welchen Wert freie Presse für unsere Gesellschaft hat. Dieser Diskurs ist überfällig.“