Anfang der Woche steht Markus Rogg auf einem seiner Felder und lässt den Blick über die Maispflanzen streichen. "Die Pflanzen stehen kurz vor dem Kollaps", sagt der 46-jährige Bauer. "Wenn es nicht regnet, ist hier in einer Woche alles tot." Mittlerweile ist am Hochrhein, wo Rogg seinen 150-Hektar-Hof bewirtschaftet, zwar etwas Regen gefallen, die Lage hat das grundsätzlich aber nicht verändert. "Das war der berühmte Tropfen auf den heißen Stein, sagt Rogg. "Wir brauchen viel mehr davon."
Seit Wochen leidet ganz Deutschland unter der heftigsten Hitzewelle seit dem Jahr 2003. Damals verwandelte Hoch Michaela weite Teile der Kontinents in einen Brutkasten. Zehntausende Menschen europaweit starben an den Folgen. Auch dank besserer Hitzevorsorge ist es dieses Mal noch nicht ganz so schlimm.
Wie damals verenden aber auch heute Tausende Fische in den Flüssen, Kraftwerke fahren ihre Stromproduktion zurück, weil das Kühlwasser zu warm ist und Autobahnen schmelzen bei Temperaturen von weit über 35 Grad Celsius unter den Autoreifen dahin. Schon beginnen erste Gemeinden den Wasserverbrauch der Einwohner einzuschränken.
Wird das die schlechteste Ernte des Jahrhunderts?
An vorderster Front bei der neuerlichen Jahrhunderthitze stehen aber die Bauern. Niemand sieht so unmittelbar wie die Landwirte, was eine Dürre anrichten kann. Nirgends hängen Existenzen so direkt von Klima, Umwelt und dem Wetter ab.
Der Deutsche Bauernverband, die Interessenvertretung der rund 275.000 deutschen Landwirte, prognostiziert die schlechteste Ernte des Jahrhunderts und fordert Hilfe in Milliardenhöhe. In der Versicherungswirtschaft geht man von wetterbedingten Schäden in Höhe von zwei Milliarden Euro aus – das ist vier mal so viel wie in einem Durchschnittsjahr.
Viel zu wenig Regen im Sommer
Dabei fing alles gar nicht so dramatisch an. Auf einen feuchten Winter mit viel Niederschlag folgte ein Frühjahr, das zwar zu trocken war, das die Pflanzen aber noch mühelos wegstecken konnten. Dann allerdings schlug das Wetter mit voller Wucht zu. Spätestens seit Anfang Juli herrscht quasi bundesweit Wasser-Ausnahmezustand.
Selbst in Süddeutschland, wo die Hitze nicht so stark war wie im Norden und Osten der Republik, fielen nur Tropfen, wo es sonst wie aus Kübel gießt.
Die Lage ist von Region zu Region anders
Dabei traf es nicht jeden gleich hart. Die regionalen Unterschiede sind dieses Jahr enorm, sagt Wilfried Kaiser, Vorstand des Badischen Landwirtschaftlichen Hauptverbands (BLHV) in Stühlingen am Hochrhein. Manchmal sei auf der einen Seite der Straße gerade noch genug Regen gefallen, während es auf den gegenüberliegenden Feldern zu herben Ernteausfällen gekommen sei.
Auf rund zehn Prozent des normalen Niveaus schätzt BLHV-Mann Kaiser die Regenmengen, die seit Jahresbeginn in den Krisengebieten zwischen Hochrhein und Schwarzwald heruntergekommen sind.
Dem Vieh droht das Futter auszugehen
Markus Rogg aus Stühlingen-Bettmaringen trifft das voll. Bei ihm stehen 150 Milchkühe im Stall, um die er sich so langsam Sorgen macht.

Nicht nur wegen der hohen Temperaturen. Den Rindern droht das Futter auszugehen. Meine Silos leeren sich in Rekordgeschwindigkeit, sagt er Landwirt. Und neues Grün wächst nicht nach.

Von den vier Grasschnitten, die er pro Jahr einfahren kann, werden "dieses Jahr zwei ein Totalausfall", schätzt er. Als er vor einigen Wochen das letzte Mal gemäht hat, war der Anhänger, der normalerweise nach zwei Hektar überquillt, erst nach 12 Hektar voll. "Es wächst einfach nichts mehr", sagt er. "Seit Wochen."
Die Folge sind Schlachtungen
Landauf, landab, beginnen die Bauern daher, ihre Rinderbestände in die Schlachthöfe zu karren. Expertenorganisationen wie die LEL in Schwäbisch Gmünd registrieren ein massives Abstocken die Viebestände. "Da ist ein Run auf die Schlachthöfe ausgebrochen", sagt Richard Riester, Marktexperte der LEL.
Auch Bauer Rogg hat schon Tiere weggegeben, die er in normalen Jahren noch im Stall behalten hätte. "Mir fehlt das Futter", sagt er.

Das alles hat Auswirkung auf die Preise. Insbesondere die Rinder- und Kälbernotierungen sind im freien Fall. Ob Fleisch für den Konsumenten deswegen billiger wird, ist noch unklar. Der Handel schweigt sich noch aus.
Weniger zu einem höheren Preis
Für die Milchpreise, die nach wie vor auf niedrigem Niveau dümpeln, zeigt die Richtung indes klar nach oben. Weniger Kühe bedeutet weniger Milch und daher höhere Preise für die Bauern. Gleiches gilt fürs Getreide. Auch hier hat die extreme Trockenheit die Erntemengen stark beeinträchtigt. In Teilen Ostdeutschlands betragen die Einbußen 50 bis 60 Prozent.
Bauer Rogg in Stühlingen hat gerade rund 20 Prozent weniger in die Scheue eingefahren. Unter dem Strich, so schätzen manche, könnten die Getreidebauern im Süden nun sogar als lachende Dritte aus der Dürre hervorgehen: Sie verkaufen zwar deutlich weniger, das aber zu einem viel höheren Preis. Auch so kann die Dürre also wirken.
Warum die Winzer optimistisch sind
Echt optimistisch sind allerdings nur die Winzer. Anders der Rest der Zunft freuen sie sich offen über das Ausnahmewetter. Denn: Speziell im Südwesten erwarteten die Winzer, aber auch die Obstbauern große Erntemengen und eine gute Qualität, bestätigte Benjamin Fiebig, Hauptgeschäftsführer beim BLHV in Freiburg. Den meisten Rebsorten macht Hitze wenig aus, weshalb manche Bauern sogar auf einen Ausnahmejahrgang ähnlich dem im Jahr 2003 hoffen.
Also alles bestens bei den Betrieben rund um den Bodensee? Alois Wurst vom Fohrenberghof in Meersburg zieht ein geteiltes Fazit. Sein Hof ist ein Familienbetrieb, neben Wein baut der Landwirt auch verschiedene Obstsorten wie Zwetschgen, Mirabellen oder Äpfel an, die seine Frau Lucie im Hofladen verkauft.

„Die Äpfel hatten es dieses Jahr zu trocken“, erzählt Lucie Wurst. Aus dem Kühlraum, der direkt neben den Hofladen angrenzt, holt sie einen Apfel aus der vergangenen Saison. Daneben legt sie einen aus der aktuellen Ernte. Er ist rund ein Viertel kleiner. „Das bedeutet am Ende auch ein Viertel weniger Erlös“, sagt sie.

Der See als Wärmespeicher
Trotz des nassen Frühjahrs und des späten Frosts im vergangenen Jahr hatte der Fohrenberghof 2017 keine Ernteeinbußen. „Wir hatten Glück. Bloß ein paar Kilometer weiter konnten die Landwirte nur 30 Prozent ihres üblichen Ertrags einfahren“, erzählt Alois Wurst. Dank der Nähe zum See als großem Wärmespeicher seien sie damals verschont geblieben, ist sich der Landwirt sicher.
Weitaus größere Probleme macht ihm die Witterung in diesem Jahr. Zwei Unwetter mit Hagel um Pfingsten herum hätten ihn ein Fünftel seiner Ernte gekostet. Junge Reben haben zudem unter der Hitze gelitten. Weil sie noch kein tiefes Wurzelwerk haben, ist anhaltende Trockenheit für sie ein Problem.
"Sie beginnen die Ranken abzuwerfen und ihre Blätter vergilben", erzählt der Landwirt. Durch die großen Anstrengungen im Sommer gehe die Pflanze deshalb geschwächt in den Winter. „Bei Frost können die Pflanzen dann leicht kaputt gehen.“
Die Weinernte wird wohl früher beginnen
Bei den älteren Anlagen auf dem Weinberg bietet sich dagegen ein prächtiges Bild. Schon jetzt sind viele Trauben dunkelrot gefärbt.

Alois Wurst rechnet damit, drei Wochen früher als üblich mit der Ernte beginnen zu können. "Einen so frühen Erntebeginn gab es seit mindestens 50 Jahren nicht mehr." Bereits in der ersten Septemberwoche könnte die Lese für den Müller-Thurgau beginnen.
Der Zeitpunkt der Ernte sei nach der vielen Sonne nun entscheidend, erzählt der Winzer auf einem Spaziergang durch den Weinberg, bei dem er immer wieder prüfend die Trauben betastet. Werden sie zu süß, steige der Alkoholgehalt. „Ein zu intensiver Alkoholgeschmack schadet aber dem Wein“, erklärt er.
Für einen Ausnahmejahrgang gab es zu wenig Regen
Von einem Ausnahmejahrgang geht er trotz der vielen Sonne nicht aus. Der Regen, so Alois Wurst, sei zu unregelmäßig gekommen. "Das ist wie beim Menschen, wir mögen es auch nicht, wenn wir auf einmal ganz viel Wasser bekommen und dann lange nichts", erklärt er. Regelmäßiger Regen in verträglichen Mengen trage zu einer besseren Aromabildung bei.
Dass Wetterextreme wie Hitze oder Unwetter seit einigen Jahren immer mehr in Massen statt in Maßen auftreten, bereitet ihm wie allen Landwirten Sorgen. "In einem Jahr läuft alles gut, dann ist plötzlich Land unter", sagt er. Mischbetriebe wie seiner, die statt eines Anbauprodukts mehrere Standbeine hätten seien deshalb die, die noch am besten zurecht kämen. Wichtig sind für ihn außerdem die Unterstützung der Familie und eine Absicherung vor Unwetterschäden. Deshalb hat er eine Hagel-Versicherung abgeschlossen. "Bei den ganzen Verpflichtungen, die man als Bauer heutzutage hat, kann man sich ein Jahr Totalausfall nicht mehr leisten", sagt er.
Nothilfen und Ausnahmeregeln – was gilt?
- Die Forderung: Ihre Ansprüche haben die deutschen Bauern klar angemeldet: Eine Milliarde Euro an Nothilfen forderte der Präsident des Deutschen Bauernverbands (DBV), Joachim Rukwied, als die Ausmaße der Dürre greifbar wurden. Immerhin stünden die Landwirte vor der "schlechtesten Ernte des Jahrhunderts", wie es Rukwied, der selbst einen Hof nahe Heilbronn bewirtschaftet, ausdrückte. Ganz aus der Luft gegriffen sind die Zahlen wohl nicht. Immerhin schätzt auch die deutsche Versicherungswirtschaft die dürrebedingten Ernteschäden in Deutschland auf mindestens zwei Milliarden Euro. Das ist rund vier mal soviel wie in normalen Jahren durch Wetterunbill verloren geht.
- Die Reaktion im Bund: Bundesagrarministerin Julia Klöckner (CDU) hat zwar eine rasche Unterstützung der Bauern in Aussicht gestellt, lehnt die Bewilligung von Nothilfen in größerem Umfang aber zunächst ab. Klöckner will diese erst frei geben, wenn mit dem Erntebericht Ende August eine Bilanz vorliegt. Allerdings sollen die Länder nun rasch Hilfsprogramme vorlegen, die der Bund dann flankieren will.
- Die Reaktion im Land: In Baden-Württemberg hat die Landesregierung nun reagiert. Wegen der Trockenheit und Hitze soll es für die Landwirte im Südwesten ab sofort Ausnahmeregelungen geben, die ihnen die Futtermittelbeschaffung erleichtern. "Wir können die Betriebe und vor allem ihre Tiere jetzt nicht im Stich lassen“, sagte Landwirtschaftsminister Peter Hauk (CDU) diese Woche. Unter anderem soll besonders schonend wirtschaftenden Bauern, begrünte Ackerflächen zur Fütterung nutzen dürfen – was normalerweise nicht erlaubt ist. Auch ökologische Brachflächen sollen als Weiden dienen oder gemäht und die Pflanzen verfüttert werden können.
- Was macht Bayern? Andere Bundesländer, etwa Bayern, haben ihren Bauern bereits Beihilfen für Futtermittel gewährt. „Überall dort, wo erhebliche Ertragseinbußen zu erwarten sind, wollen wir die Mehrkosten für Grundfutter zur Hälfte, maximal bis zu 50 000 Euro pro Betrieb, ausgleichen“, erklärte Landwirtschaftsministerin Michaela Kaniber (CSU).
- Die Bauern-Forderung: Eigentlich wollen die Landwirte nicht ständig nach Hilfe rufen. Sie setzen statt Nothilfen langfristig auf zwei andere Instrumente: Erstens wollen sie in guten Jahren Geld steuerfrei zurücklegen dürfen, das sie in schlechten Jahren zum Ausgleich der Ausfälle einsetzen. Zweitens wollen sie Risiko-Versicherungen abschließen. Auch hierbei soll der Staat ihnen unter die Arme greifen. Der Grund: Ernteausfallversicherungen sind bislang so teuer, dass nur sehr wenige Landwirte sie sich leisten können. Würden die Prämien staatlich bezuschusst, stiegen mehr Bauern ein. Das würde die Prämien erschwinglich machen, so das Kalkül der Bauern.
- Öko-Betriebe: Sie haben ein besonders großes Problem, da beispielsweise Bio-Milcherzeuger eigentlich kein konventionelles Futter geben dürfen. Da frisches Bio-Gras aber derzeit deutschlandweit quasi nicht erhältlich ist, gibt es nun Ausnahmeregelungen. Sie dürfen nun Futtermittel aus nicht-ökologischer Erzeugung zukaufen und die Milch dennoch als Bioprodukt vermarkten.