David Bäuerle

In vorzugsweise nachrichtenarmen Zeiten tauchen oftmals neue Bilder des Ungeheuers von Loch Ness in den Zeitungen auf. Die Legende um Nessie ist ein Dauerbrenner während des Sommerlochs. Doch trat jetzt der umgekehrte Fall auf: Nun tauchte ein Bodensee-Fisch auf, von dem man glaubte, dass es ihn gar nicht mehr gibt. 2008 war der Tiefwassersaibling von der Weltnaturschutz-union (IUCN) für ausgestorben erklärt worden. Doch der Fisch hat sich offenbar nur für eine Weile versteckt und ist nun wieder aufgetaucht. Was bedeutet, dass die Weltnaturschutzunion den Tiefwassersaibling von ihrer Liste ausgestorbener Tiere nach acht Jahren wieder streichen muss.

In dem fünf Jahre andauernden Forschungsprogramm „Projet Lac“, initiiert vom Schweizer Wasserforschungsinstitut EAWAG, wurden sämtliche Schweizer und daran angrenzende Seen auf ihre Fischbestände geprüft. Bei der Untersuchung des Bodensees nahmen auch Forscher der Fischereiforschungsstelle in Langenargen teil. Vor Überlingen gingen ihnen 2015 etwa zehn Exemplare des Tiefwassersaiblings ins Netz. Dass der Fisch ausgerechnet im Überlinger See entdeckt wurde, scheint dabei kein Zufall zu sein. „In der Fachliteratur aus den 70er-Jahren ist zu lesen, dass der Tiefwassersaibling ebenfalls dort von Fischern aus dem See gezogen wurde“, sagt Ole Seehausen von der Abteilung Fischökologie und Evolution beim Schweizer Wasserforschungsinstitut. „Daher könnte es sein, dass der Fisch eventuell nur räumlich eingeschränkt im Bodensee vorkommt.“

Als Grund für das Aussterben der Art gilt vor allem der sinkende Sauerstoffgehalt im Zuge der Eutrophierung, als der Nährstoffgehalt des Sees in den 80er-Jahren anstieg. Die Eier des in 80 Meter Tiefe laichenden Tiefwassersaiblings bekamen zu wenig Sauerstoff ab. Wie der Fisch überleben konnte, muss noch beantwortet werden. Bisher gibt es nur Vermutungen. „Es könnte sein, dass ein Teil der Tiere in flacherem Wasser gelaicht hat“, ist eine Vermutung von Seehausen, die erklären könnte, warum der Tiefwassersaibling seine Art erhalten konnte. Doch auch zufällige Faktoren könnten beim Überleben des Fischs eine Rolle gespielt haben. Andere Bodensee-Fischarten, die als ausgestorben gelten, wurden nicht entdeckt. Dazu gehört beispielsweise der Bodensee-Kilch, dessen Eier teilweise in bis zu 140 Meter Wassertiefe überwintern.

Die Grundlage, auf derer der Tiefwassersaibling für ausgestorben erklärt wurde, erstellte 2008 der Ichthyologe (Fischkundler) Jörg Freyhof. Auf seine Expertise stützte sich die Weltnaturschutzunion, die den Fisch 2008 offiziell für ausgestorben erklärte. „Es wurde an ausgesuchten Orten gefischt und mehrere Fischer befragt, die bestätigten, dass die Saiblingsart schon lange nicht mehr in ihren Fangnetzen auftauchte“, erklärt Seehausen. Daher ging man davon aus, dass die Saiblingsart den Sauerstoffmangel am Grund des Bodensees nicht überlebt hat.

Doch auch andere Fragen können noch nicht beantwortet werden. Ob der Tiefwassersaibling wieder gefischt werden darf und somit auf den Speisekarten auftauchen könnte, kann Ole Seehausen nicht sicher beantworten. „Offiziell gilt der Tiefwassersaibling ja noch als ausgestorben. Gegen das Fangen einer ausgestorbenen Art gibt es wohl kaum ein Gesetz. Da befindet man sich in einer rechtlichen Grauzone.“

Als nächster Schritt müsse zunächst der Ausgestorben-Status bei der Weltnaturschutzunion geändert werden. Aus wissenschaftlicher Sicht sollte die Art keinesfalls gefischt werden, betont Ole Seehausen. Erst einmal müsse sich die Population wieder stabilisieren. Genauer gesagt kommt es dabei vor allem auf die Größe der effektiven Population an. Also auf diejenigen Exemplare, die sich fortpflanzen können und die Art erhalten. „Die Größe der effektiven und der Gesamtpopulation kann sehr groß ausfallen, die effektive Populationsgröße kann viel kleiner sein“, erklärt Seehausen. Einige Tausend Exemplare der effektiven Population müsse es geben, damit die Fischart dauerhaft überleben kann. Hinzukommt, dass die Fische nun genügend Laichplätze finden.

Der Lazarus-Effekt

Die Wiederauffindung von Tieren, von denen man ausging, dass sie ausgestorben sind, wird als Lazarus-Effekt bezeichnet. Der Begriff ist von der biblischen Figur des heiligen Lazarus inspiriert, der durch Jesus wiedererweckt wurde. Die Wiederauffindung von Tieren, die als ausgestorben gelten, kommt immer wieder vor. So geschehen bei der bayerischen Kurzohrmaus, die in den 1960ern als ausgestorben galt, im Jahr 2000 aber wieder entdeckt wurde. Auch auf Pflanzen wird der Lazarus-Effekt angewandt. Einige Exemplare des als ausgestorben geltenden Quallenbaums wurde 1970 wieder auf den Seychellen entdeckt. (dba)

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