Der Tourismus in Baden-Württemberg verzeichnet bereits jetzt dramatische Einbrüche im Zuge der Corona-Krise. Dies ergab eine Stimmungsbild, das das für Tourismus zuständige baden-württembergische Justizministerium bei Akteuren der Branche in den vergangenen Tagen erhoben hat. Die Umfrage liegt dem SÜDKURIER exklusiv vor.
Die Schweizer bleiben fern
Allein der Schwarzwald meldet eine heftige Stornierungswelle, die bis zu 80 Prozent der Buchungen betrifft, sowie einen rapiden Rückgang der Vorausbuchungen für Frühsommer und Sommer 2020. „Die Rückmeldungen bestätigen leider eindrücklich: Die Situation für den Tourismus im Land ist ernst, sogar sehr ernst“, sagte der für Tourismus zuständige Minister Guido Wolf (CDU) unserer Zeitung. „Es ist nicht auszuschließen, dass Betriebe der Tourismusbranche durch diese unvorhersehbare Krise in Existenzgefahr geraten.“ Am Bodensee bricht ebenfalls der Geschäftsreiseverkehr ein, insbesondere die Schweizer Urlauber bleiben weg. Buchungen von Privatreisenden für die Osterferien allerdings werden derzeit noch selten storniert – sollten die Infektionszahlen nicht deutlich steigen, hofft man, mit einem blauen Auge davonzukommen.

Befragt wurden die regionalen Touristikverbände, der Heilbäderverband, die Tourismus-Marketinggesellschaft des Landes (TMBW), der Verband Region Stuttgart sowie IHK und Dehoga. Sie sollten Auskunft geben zur Ist-Situation, zur Einschätzung der Entwicklung der kommenden Wochen hinsichtlich Buchungen und Gästeverhalten sowie zur Einschätzung der mittel- und langfristigen Auswirkungen der Corona-Krise.
Dienstreisen werden von vielen Unternehmen untersagt
Insgesamt zeichnet sich ab, dass landesweit der Geschäftsreisetourismus nahezu zum Erliegen kommt. Nicht nur die abgesagten Messen und Großveranstaltungen schlagen mit Stornierungen von Hotelzimmern und ausfallenden Restaurantbesuchen massiv zu Buche. Auch werden von vielen Unternehmen Dienstreisen grundsätzlich untersagt. Hinzu kommen Einschränkungen im Reiseverkehr an den Grenzen.
Die TMBW fürchtet um Urlaubs- und Geschäftsreisende aus dem In- und Ausland. Auch private Veranstaltungen würden durch die wachsende Verunsicherung der Bevölkerung zunehmend abgesagt. „Mittel- bis langfristig drohen den touristischen Anbietern daher massive Umsatzeinbußen, Liquiditätsengpässe und im schlimmsten Fall Insolvenz“, so die düstere Zukunftsprognose der TMBW.
Kurzarbeit als Lösung?
Laut einer Berechnung der IHK Baden-Württemberg spürend bereits jetzt 87 Prozent der Unternehmen in der Reisebranche sowie 79 Prozent im Gastgewerbe Auswirkungen. Für den Monat April seien die Vorbuchungen insbesondere in den Regionen, die stark um Business-Tourismus hängen – Ostwürttemberg, Stuttgart oder Mannheim – zum Teil auf 20 Prozent Belegung geschrumpft. „Kurzarbeit ist sicherlich eine mittelfristige Lösung“, so die IHK. Dagegen sehe die Lage in der Ferien- und Wellnesshotel derzeit – noch – vergleichsweise gut aus, dennoch gebe es Absagen. „Gerade ältere Menschen sagen ab, da sie aktuell nicht reisen möchten,. Gäste aus der Schweiz stornieren, weil sie Angst haben, bei der Einreise in Quarantäne zu müssen“, heißt es.

Auch beim Dehoga sind von drei Viertel der Betriebe deutliche Umsatzrückgänge gemeldet worden. „Ohne schnelle Hilfe droht nicht nur der Verlust von Arbeitsplätzen im Gastgewerbe, sondern die dauerhafte Schließung von Betreiben“, fürchtet der Verband. Eine Fortdauer der Krise über Wochen würde zahlreiche Unternehmen in große Bedrängnis bringen.
Ganze Reisegruppen aus Asien fallen aus
Der Heilbäderverband spricht von einer brisanten Situation und vermeldet ebenfalls eine massive Stornierungswelle, sowohl im Segment der Tages- als auch der Übernachtungsreisen. Gäste aus zentralen Auslandsquellmärkten wie der Schweiz und Frankreich würden Reisen stornieren. Ganze Reisegruppen aus Asien, insbesondere China, fielen aus. 59 Prozent der Wellness-Betriebe und 80 Prozent der Heil- und Kurorte erwarten demnach eine Verschlechterung der Lage in den kommenden acht Wochen. Der Verband äußert jedoch die Hoffnung, dass es auch zu einem stärkeren Interesse an innerdeutschen Reisen kommen könnte.

Tourismusminister Wolf erwägt daher Überbrückungsmechanismen zur kurzfristigen Stabilisierung der Branche. „Allein mit Maßnahmen zu Kurzarbeit wird es dabei nicht getan sein, es braucht ein Maßnahmenbündel, beispielweise schnell greifende Mechanismen, um die Liquidität der Unternehmen aufrechtzuerhalten und steuerliche Maßnahmen wie Stundungen“, sagte Wolf. Vom Bund erhoffe er sich schnell Gewissheit über die angekündigten Maßnahmen zur Kurzarbeit.
Ein Überblick über die Regionen
„Aus meiner Sicht ist es auch bereits jetzt an der Zeit, über steuerliche Entlastungen für die Gastronomie zu diskutieren. Der unterschiedliche Mehrwertsteuersatz in der Gastronomie ist ein erhebliches Investitionshindernis“, so Wolf. „Wir sind erst am Beginn der Entwicklungen und die Einbußen sind bereits beträchtlich. Wir müssen Anreize schaffen, dass konsumiert und investiert wird. Außerdem sind Restaurants und die ortsfeste Gastronomie besonders von den aktuellen Einbußen betroffen. Wir müssen auch jetzt schon die Weichen für eine schnelle Erholung nach der Krise stellen, da zählt jeder Tag.“
Zentraler Wirtschaftszweig Tourismus
An der Tourismusbranche hängen in Baden-Württemberg rechnerisch fast 400.000 Arbeitsplätze. Der Urlaubssektor sorgte zuletzt für ein jährliches Bruttoumsatzvolumen von rund 25 Milliarden Euro im Jahr in Baden-Württemberg. 2018 erzielte das Reisegewerbe mit einem Wachstum von 3,6 Prozent zum neunten Mal in Folge Rekordumsätze und zählte 55 Millionen Übernachtungen sowie ein Plus an ausländischen Gästen. Die abschließenden Zahlen für 2019 liegen noch nicht vor, die Bilanz der ersten neun Monate aber ließ auf das zehnte Rekordjahr in Folge schließen. Viele Betriebe haben sich vergangenen Jahren gut entwickelt und viel investiert. Diese könnten nun bei ausbleibender Nachfrage zum Teil existenziell bedroht sein.